Jürgen Lodemann

Bücherschreiber, Filmemacher. Geboren am 28.3.1936 in Essens Krupp-Klinik. 1956 Abitur am naturwissenschaftlichen Essener Helmholtz-Gymnasium, Studium in Freiburg (Germanistik, naturwissenschaftliche Geographie), Promotion (Lortzing und seine Spielopern. Deutsche Bürgerlichkeit). Staatsexamen (1963, Neue und alte Germanistik, Geographie).

Journalismus 1963/64 bei Zeitungen in Essen, Hamburg und Berlin.1965 bis 1995 Redakteur und Filmemacher beim Fernsehen des Südwestfunks Baden-Baden. Dokumentarfilme (siehe "Filme"), Moderation und Redaktion der TV-Reihen Literaturmagazin und ab 1983 Café Größenwahn. Initiator der Anti-Bestsellerliste SWF-Bestenliste (seit 1975), heute SWR-Bestenliste, mit 35köpfiger Jury (siehe "Dokumente").

Romane, Essays, Theaterstücke, Dokumentarfilme. Mitarbeit bei ZEIT, FR, FAZ, WAZ, TAZ. Im PEN-Zentrum der Bundesrepublik. 1983/84 Bernt Engelmanns Vize im Vorstand des Verbands deutscher Schriftsteller (VS). Lehraufträge an Universitäten (Stuttgart, Frankfurt, Marburg, Freiburg, Gainesville/Florida, Essen-Duisburg).

Preise 1978 Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik. 1987 Essener Dramatikerpreis. 1988 Literaturpreis Ruhrgebiet. 2002 Literaturpreis der Landeshauptstadt Stuttgart (für "Siegfried und Krimhild"). 2002 Phantastikpreis der Stadt Wetzlar. 2005 „Professor des Landes NRW“. 2007 Vorsitzender des VS in Baden-Württemberg. 2008 poet in residence der Universität Essen/Duisburg, 2009 "writer in residence" an der Universität Galway in Irland.

Wohnung war in den30 SWF-Jahren in Wein-Orten südlich B.-Baden. Dann in Karlsruhe, nach 1995 zehn Jahre in der irischen Atlantikstadt Galway. Als Rentner sieben Jahre im Schwarzwalddorf Horben, unterm "Schauinsland". Seit 2005 im Freiburger Stadtviertel "Vauban" ("Herzeigviertel"). Näheres dazu unter "Fundstücke" und im Roman "Salamander". Wohnung war auch und immer nochmal gern im Ruhrrevier, vor allem bei Freunden in Essen-Steele, deren vormaliges Herrenhaus heute stark altert, unter einer enormen Esche.

Per Briefpost oder per Mail erreichbar c/o Verlag Klöpfer & Meyer, Herrenberger Str. 11, 72070 Tübingen, Tel. 07071-948984 ([email protected], Dr. Sabine Besenfelder) .

März 2009, 140ster Geburtstag von Bille Haag und mir. Hier demonstriere ich , wie sehr ich mit dem Kopf durch die Wand oder ins Innere des "Vauban"will, des Freiburger "Vorbildviertels", wobei der Akrobat Wert darauf legt, dass er zwei Sekunden nach dieser Aufnahme seine Extremitäten kerzengerade in den Himmel über Freiburg gereckt hat. Leider ist zwischen seinen Füßen kaum erkennbar , dass zu dieser Übung eine bekannte Dichterin geigte, unübersehbar jedenfalls ist eine ihrer Töchter auf dem Einrad. Bille Haag muss Sekunden später durch den "brennenden Reifen" springen. Hinterm Bildrand links stehen fast fünfzig Festgäste und spenden tosenden Beifall.

Das "Vauban"? Wurde 1938 erbaut als "Schlageter-Kaserne", nach 1945 war es die Kaserne der Franzosen und bekam den Namen des Festungsbaumeisters und Bürgerschützers und "ordentlich königlichen Ingenieurs", des Marechal des France Sébastien Le Prestre de Vauban. Nach 1990, nach dem Abzug der Franzosen entwickelte sich das Stadtviertel Vauban zu Freiburgs ökologischem Herzeigviertel. Die Statistik meldet, im Vauban gibt es pro Bewohner in Deutschland die meisten Kinder. Und die wenigsten Autos. Der hier abgebildete Platz - der Platz unserer 140jährigen Turn-Übung - bekam zwei Jahre zuvor den Namen "Alfred-Döblin-Platz" - zur Taufe erschien aus Paris der letzte noch lebende Sohn des pazifistischen Dichters und erklärte, dass sein Vater sich sehr gefreut haben würde, wüsste er, dass in seinem Namen ein militärisches Gelände verwandelt worden sei in ein derart menschenfreundlich friedliches Terrain.

Die schöne Mutter, 1930

1939, der "Solljunge", mit den acht und zehn Jahre älteren Brüdern. Damals entstand in Freiburg die Schlageter-Kaserne, nachmals "das Vauban".

1959 Ausflug zum "Rinken" am Feldberg im Schwarzwald. Von links: Freund Ekkehard, Student (Latein, Geschichte). Neben ihm Abdel Gaffar Mikkawi, Ägypter, Bibliothekar, Dichter. Rechts Friedel und Friedel (Friedrich) Lodemann (damals entstand sein "Der große Irrtum", erschien erst 30 Jahre nach seinem Tod).

Seit 1940 hing hinter ihrem Sessel ein Spruch in Fraktur, "Lerne schweigen ohne zu platzen".

Kennen wir uns nicht? aus Essen? (Kurz vor Elke H.s erstem TV-Auftritt im "Literaturmagazin" Februar 1972


Hier soll ich lesen? aus "Lynch"?

1977. "Literaturzirkus" Mannheim



Ein Schwarzwald zum Wundern

Eine Wanderung um 1975 - In einem Artikel ("Badische Zeitung") im Mai 2014

18 Millionen Deutsche sahen 1950, trotz Rudolf Prack, den Film „Schwarzwaldmädel“. Die Fernsehserie „Schwarzwaldklinik“ wurde trotz allem in 38 Länder verkauft. Dieser Wald ist also weltberühmt. Wer ihn durchquert, hat sich tatsächlich zu wundern. Ja, den sollte jeder mal durchwandert haben. Einst machte ich das über den Westweg, querte ihn mit sieben Waldorfkindern samt Eltern. Die lernten nicht nur den Wald neu kennen, auch ihre Kinder. Die liefen die sieben Tage am liebsten voraus und dozierten gern laut, etwa so: „Fleisch esse ich nur von Tieren, die an Altersschwäche gestorben sind“. Die fünf Großen kauten derweil an dem, was damals ein Schwarzwald-Philosoph im Deutschen Fernsehen verkündet hatte: „Mein Denken stellt eine Frage, die noch nie gestellt wurde. Die Frage nach dem Seyn.“ So wörtlich Heidegger, und da rumorte nun heftig die Frage, ob denn nicht seit je Philosophen nichts anderes bewegt hätte. Der da in seiner Todtnauer Hütte sei anmaßend (schrieb sein „Seyn“ auch mit y) und ob der nicht Altbedachtes nur neu frisiere, sozusagen etymythologisch?

In solcher Unruhe (SZ: „in schwarzwald-dunkler Eigentlichkeit“) fing auch ich unterwegs an, den alten Wald zu preisen als Erneuerungsweg und packte mein Spezialwissen aus, nicht nur das Weck-Glas sei hier erfunden worden, sondern auch das, was Kriege endgültig zur Hölle mache: nach den Chinesen hätte ausgerechnet ein Freiburger das Pulver erfunden, ein Mönch namens Schwarz, vor Freiburgs Rathaus sehe man den in Stein, mit seiner ersten „Schwarz“-Pulver-Explosion, die ihm unfreiwillig „passiert“ zu sein scheint, so jedenfalls stellt es die sorgfältige Skulptur dar. Dieser Schwarzwald sei halt keine Friedens-Insel, erklärte ich, und nicht zuerst Krupp erfand Guss-Stahl, sondern kurz vor ihm ein Jakob Mayer aus Dunningen bei Rottweil. Und der Welt bestes Schnellfeuergewehr, so beschied jetzt die Londoner Times, das komme aus Oberndorf (bei Rottweil): „ein Wundergewehr“.

Alles Fakten. Sogar 80 Prozent des im Weltkrieg I verschossenen Pulvers kam aus dem wunderlichen Ort der rätselhaften Narrensprünge, aus Rottweil. Auch Johannes Kepler, der das Weltbild bekanntlich umcodierte, war einer vom Rand dieses düsteren Waldes, und sogar der historische Doktor Faust hat hier ringsherum gewirkt, eine schwäbisch-badische Mischung war der, wurde geboren in Knittlingen und am Ende laut Volksbuch vom Teufel erwürgt auf einem Misthaufen in Staufen.

Schon Martin Gerbert, erster Abt in St. Blasien, warnte früh in seiner Historia Nigrae Silvae vor den wilden Tieren des Schwarzwalds. Bis tief in unsere Abende in sieben Gasthöfen hatte ich unterwegs Großen wie Kleinen den wunderlichen Wald zu erklären. „Kam von hier auch Positives?“ Aber ja, sogar Weltveränderndes. Rings um Feldberg und Herzogenhorn begann das in Norwegen vorbereitete Skilaufen, 1895 in Todtnau im ersten Skiclub. Und dort, unweit der Heidegger-Hütte, entwickelte einer dieser findigen Schwarzwälder, die in ihren Wintern nicht nur die Kuckucks-Uhren gebastelt hatten, 1896 den ersten Lockenwickler – das damalige Weltbild gewiss verändernd. Dazu findet man in Todtnau einen Friseursalon im Jugendstil, ein Museum für Karl Ludwig Nessler aus Todtnau, den Erfinder der Dauerwelle – in den USA vorübergehend Millionär.

Den sieben Kleinen suchte ich in sieben Unterwegs-Partien die „Märchen“-Wahrheit vom „Kalten Herz“ zu erzählen, diese frühe Sage vom Kapitalismus, die interessierte auch die Großen, und damals nahm ich mir vor, mal all das zu sammeln, was je Poeten einfiel zum Schwarzwald, schon um Tourismus und TV mal die Lautstärke zu nehmen. Was Dichter vom Schwarzwald sagten, scheint bezeichnend auch für sie selbst, als blickten sie in einen finsteren Spiegel. Hemingway sah hier hässliche Frauen. Schwarzwald-Dichter Hannsjakob riet, auf Radlerinnen Steine zu werfen.

Und „Das kalte Herz“ fällt mir noch jetzt immer dann ein, wenn es um die Atomwolke aus Tschernobyl geht, die 1976 trotz Ostwind über den Vogesen wunderlich hängen blieb und einfach nicht nach Frankreich hinein wollte – schon 1827 hatte in seinem Todesjahr der 24jährige Wilhelm Hauff im „Kalten Herz“ eine hohe Glaswand im Schwarzwald beschrieben, von der alles zurückprallte. Ach, die Franzosen. Ab 1850 galt in Paris wie in Baden-Baden die französische Redensart, „Flüsse gehen ins Meer, interessante Frauen nach Baden“. Zeugen melden, dass schon damals auf der Lichtenthaler Allee Russlands Adel mit Europas Geld-Adel flanierte, auch mit „Glücksritterinnen“, allesamt mit ehrgeizigen Zielen.

Ja, auch „Positives“, sogar real Hilfreiches entstand in diesem großen Wald, zum Beispiel der weltverbessernde Dübel und auch die Spanplatte, nämlich durch einen Baiersbronner namens Himmelheber. Auch den Skilift erfand um 1900 kein Krupp-Ingenieur, sondern ein Bauer von dort, wo laut Goethe „ganz hinten, im Grunde... bei Freiburg … die Berge quer vor“ liegen, ja, „quer vor“. Und ausgerechnet in diesem Freiburg fand der berühmte Kartograph Waldseemüller den Namen für den Kontinent, der dann die Welt immerzu umkrempelte, den Namen „Amerika“. Dass Columbus die Neue Welt entdeckt hatte, war dem Zeichner nicht bekannt, dafür um so mehr der Name des Amerigo Vespucci, der die Entdeckung für sich reklamierte, und so malte Waldseemüller in seiner fabelhaften großen Weltkarte auf den ersten bekannt gewordenen Zipfel der späteren USA, malte der auf das heutige Florida das Wort „America“. Es begann also mit einer Lüge? Kluge meinen, so blieb es.

Immerhin, im Schwarzwald wurde zum erstenmal auf deutschem Terrain frei gewählt, im südlichen „Hotzenwald“, fast noch im Mittelalter. Aber die „Badische Revolution“ 1848? Die scheiterte bekanntlich blutig in und um diesen Wald herum, der badische Herzog hatte gegen seine eigenen freisinnigen Untertanen preußische Truppen zur Hilfe gerufen, die kamen per Bahn, zahlreich und mörderisch – erst ein unbekannt gebliebener Heinrich Klumpp schaffte diese regierenden Herzöge ab – als dieser Klumpp im November 1918 heimkehrte aus der Weltkriegshölle und hörte, dass zwar Kaiser Wilhelm geflohen war, aber Badens Herzog noch immer nicht, da, in grenzenloser Wut nahm der sein Weltkriegsgewehr, schlich sich nachts durchs Parkgebüsch und ballerte mutig auf das Herzogsschloss, verletzte niemanden, doch die hohe Familie hatte bei gepackten Koffern mit gar nichts anderem gerechnet, floh unterm rieselnden Stuck hinters Schloss in die Kutschen und schickte zwei Tage später aus dem Odenwald (aus Zwingenberg) die Abdankung – wo steht ein Denkmal für „Klumppe-Henner“?

So ein riesiger Wald, der macht den Wanderer langsam, der lässt grübeln und Geschichte(n) neu erzählen. Zum Beispiel, dass die Prachtstadt Amsterdam auf Schwarzwaldbäumen steht. Anfang und Ende des Westwegs hatten wir weggelassen (Pforzheim, leider auch den Blauen), und einer von uns Waldorf-Vätern konnte schon damals offenbar algorhythmisch denken, der hatte alles so durchgerechnet und organisiert, dass abends in den reservierten Gasthäusern schon unser Gepäck mit den beiden Autos wartete. Und dann diese so sehr wie nie begehrten Mahlzeiten, badische Küche – 

Überm ambulanten Philosophieren wuchs die Einsicht, wie sehr dies Waldrevier seit je im Wandel ist. Vor 200 Jahren radikal kahlgeholzt, danach üppig reaktiviert, dann zu beobachten beim „Waldsterben“, jetzt aber wieder neu? wie fast alles? Noch vor 35 Jahren erschien in Freiburg als Rombach-Buch „Ortsbeschreibung – Autoren sehen Freiburg“, in dem Dietrich Kayser sein Vorwort mit dem Satz beginnen konnte: „Literatur hat es in Freiburg niemals leicht gehabt.“ Auch das soll nun ganz anders werden, vor der Uni blicken Homer und Aristoteles demnächst auf ein „Literaturhaus“, so prachtvoll wie keines zwischen Hamburg und München. Und die als sehr traditionell geltende „Schwarzwald-Metropole“ liefert der Kriminal-Statistik Spitzenwerte? Freiburger wollen  hartnäckig eine Ökonomie- und Energie-Wende, wollen sogar den Titel „Europas Kulturhauptstadt“ und meinen mit „Kultur“ das Ganze, ganz im Sinne ihres wunderbaren alten Mitbürgers Erasmus.

Gut 400 Jahre alt ist des Schwarzwalds ältester Nadelbaum. Am Westweg zeigte sich uns denkwürdig die Differenz zwischen deutschem Urwald („Bannwald“) und rasch wachsender „Fichtenfabrik“. Noch besser verwertbar als Fichte finden neue Holzhändler die Pappel, am besten die neue US-GEN-Pappel. Schwarzwald künftig als Pappelwald? Hatten hier grausig grinsende Hexenmasken schon immer fürchterlich recht?

Wenn es stimmt, dass deutsches Gemüt die Welt am liebsten als Wald sieht, dann, so philosophierten wir Westwegler im kargen Fichtenforst, dann wäre auch der Landesname neu zu schreiben, als Germoney. „Seit so viel Geld im Land ist, sind die Menschen unredlich.“ Neueste Klage aus aktuellem Feuilleton? Nein, aus „Das kalte Herz“, aus einem der vielen wahren Märchen über unser „Seyn“. Von dem, der 1827 mit 24 starb.


1995. Das war's. Letztes Magazin. Otto verstaut seine Notizen. Elke lässt sich derangieren.


1985 - Nach zwei Jahrzehnten Sender-Stress Hoffnungsträume. Im Osten Österreichs, auf dem Weg nach Rumänien, damals noch unter Ceaucescu


2010, unterwegs im Ruhrrevier, in der grünen "Kulturhauptstadt Europas". Vom "Welterbe" Zeche Zollverein in Essen zur Zeche Zollern in Dortmund, also quer durch Deutschlands einwohnerreichstes Stadtgebilde (Fünfeinhalb Millionen Leute (gegenüber knapp vier Millionen in Berlin)). Hier in Bochum. Das lief auf wunderbar ausgebauten Radwegen, oft auf vormaligen Schienenstrecken. - Wieso wohnen wir nicht hier? - Siehe unter "Filme" den letzten Filmtitel - - -

Statt dessen Blick zum Drachen. Aus der Freiburger Vauban-Wohnung die Süd-West-Sicht. Richtung Fessenheim