Textproben

Aus „Anita Drögemöller und die Ruhe an der Ruhr“

„Eins sachich dich. Irnswo is allet Betruch. Auch dat Bumßen. Wenn ich so seh, wattie Männa alles aufn Kopp stelln, bisse ma dran sind. Irngswie is dat wie’n Schweigegeld. Ja? Vonnem Härrgott. Zum Ablenken. Son Klümbgen, ´n süßet, dat keiner meckert und se alle weitamachen. Dat Motörken! Dattär ganze Betrieb im Gang bleibt. Mann, ich weiß nich, wie ich dat sagen soll: damit ebent keiner klaa sieht, watten Beschiss dat Leem in Wahheit is. Dat dein lieben Härrgott auch nix anderet is als en Scheißabeitgeber. Genau son Schmierlapp wie alle diese Geldsäcke hier. Die einen geben Lohn. Härrgott gibt sein Trick sippzehn: Bumßen. Dat is fürren Menschen, wat fürren Aabeiter sein Lohn is, Schweigegeld. Datter weiter macht. Wat Echtet kriegen tuter nie. Aba weitermachen tuter doch."

 zurück






Aus "Fessenheim"
Wo der Rhein aus dem Bodensee hinausströmt in Richtung Basel, bei Konstanz also. da erschien in der sommerlichen Sonntagsfrühe des neunten August die Sonne über den Alpen und stieg in einen wolkenfreien Himmel, als um kurz nach sechs Uhr die Stille über der großen Wasserfläche zerstört wurde von zwei gewitterhaft knallenden Schlägen und von raumgreifendem Grollen. Als stürmten tausend Buldozer über den See.
Denn unter dem Ausgang des schwäbischen Meeres, bei Konstanz also, da -


Aus FESSENHEIM (zweite Auflage, ergänzt und präzisiert):

Freiburg wird derzeit heimgesucht von drei Plagen oder Treppenwitzen. Der erste ist, dass ausgerechnet diese frühe Stadt alternativer Energien und ökologischer Wege aus nächster Nähe bedroht wird von einem zerfallenden Atomkraftwerk. Der zweite ist, dass diese alte Stadt der Humanität, dass ausgerechnet eine einzigartig gefährdete grüne Pionierstadt sich nicht bewerben soll um den Titel „Europas Kulturhauptstadt“. Als wäre das kein Signal für ein anderes, für ein überlebensfähiges Europa. Die dritte Plage ist der Treppenwitz, dass dieses Basta ausgerechnet diejenigen verfügen, die hier als "Grüne" das Sagen haben.

 zurück



Aus „SIEGFRIED UND KRIMHILD

Und wenn ihr wissen wollt, ob ich Kelte bin oder Franke oder Cherusker oder Niederländer oder Römer oder Germane oder was sonst sich die imperialen StaatsChronisten an Namen für ihre Barbaren ausdenken an Sortierungen und Obernamen und Unternamen, so antworte ich solchen Kleinkrämern: Nibelunge bin ich. Und das heißt: Huius mundi filius sum, qui totum mundum incolit ac civem se arbitratur utique. Non homo captus et stupens, qui numquam trans saepes suas prospicit. „Ein Sohn dieser Welt bin ich, der die ganze Welt bewohnt nach eigenem freien Ermessen. Jedenfalls kein solcher Schwachkopf, der nie über seine Zäune schaut“

. . .

Als jedoch der Cheruskerprinz und die Burgunderprinzessin mit ihrer hitzigen GesprächsArt gar nicht mehr aufhören wollten, wurde König Gunther unruhig, als würde er sich genieren, rutschte in seinem Sessel, räusperte sich und redete umständlich und wie mit Stolperschritten. – Gast aus Xanten, sagte er, Sohn der Sieglind, die alles Fremde als Gewinn bezeichnet, willst du uns also, uns Burgundern zu Worms, als Entgelt für Krimhilds Hand, willst du uns also nicht nur deine schwarzen Erdklumpen überlassen, sondern etwa auch die wahre, die wirkliche „Drachensaat“, deinen Hort?

Da beendete der Nibelunge seine innige Unterredung, fuhr herum mit Pottvirdicki noch heute niederländischer Fluch und rief: Warmatia vendenda? „Worms ist zu verkaufen?“ O locus animi angusti! „O engstirniger Ort“ Statt Raufgier herrscht hier Kaufgier. Ein Krämerwinkel ist Worms, nicht besser als Köln, Basel und Rom. Selbst der edelsinnige König Gunther, er verhökert, wenn’s ihm die Vettern raten, die eigene Schwester? Ach je, du Trachter, du backenloses Loch, auch du, mein Brutus, kriechst ihm hinterher, dem schwarzzahnigen Weltverwüster.

Er stand auf, als sei’s ihm in seinem Sessel zu eng geworden, setzte sich dann aber wieder und betrachtete mit Kopfschütteln meinen ältesten Bruder, der doch nur fix noch den Preis für Krimhild hatte verbessern wollen. Reichlich Roten sog der Königssohn aus dem neuen, aus dem hölzernen Krug, setzte den dann wieder auf die Tischplatte, tat das rasch, nun aber mit Vorsicht. – O WunderBurgunder Gunther. Wenn auch Roms Worms derart eng ist und klein, dann, wenn anders kein Weg ist zu dieser Krimhild, ach, dann greift sie euch doch, dann fresst sie, dann schluckt sie doch allesamt, die faulen Zähne des Imperiums, den verfluchten Neidgeierkrempel, dann steckt ihn euch getrost in all eure Hohlräume, in capita ut in posteriores „in die Köpfe wie in die Hinterteile“, ja, alle zwölf Schiffsladungen könnt ihr euch von nun an einverleiben, wenn ihr unbedingt wollt, o doch, nehmt sie euch, rafft sie, nicht nur das Anthrazit, sondern auch alles andere, Nidgirs komplettes ptolemäisches Krempelgerümpel, endlich bin ich sie los, die verfluchte Fracht, ich Wicht im Glück. Hinweis auf das Alter eines der beliebtesten europäischen Märchen. „Wicht“ (bei Schazman wight) meint altsächsisch „Kobold“ oder „Dämon“ und ist wortverwandt mit „Nicht“ und „Nichts“. Überwirkliches und Unbewusstes, weiß die Tiefenpsychologie, wird ungern beim Namen genannt

Der Nibelunge, kaum war er in Worms und hatte Krimhild gesehen und begehrt, da hat er seinen Hort verschenkt.

. . .


Du bist also AUF dem Untier geflogen?

Ja, nicht neben, sondern auf. Und zwar mit Vergnügen, weil es nämlich kein „Untier“ war, sondern ein Liebestier.

Rittlings?

Sollte ich mich an seinen Schwanz hängen?

Geritten also bist du.

Nicht mal im Traum soll ich reiten dürfen?

Wo waren beim Ritt deine Beine?

Ich verstehe dich nicht. Ich hatte sie natürlich bei mir.

Blieben sie bei dem Ritt geschlossen?

„Geschlossen“? Haben meine Beine ein Schloss?

Wissen muss ich, ob deine beiden Beine zur selben Seite hinabhingen oder, wie bei den reitenden Männern, das eine zu dieser, das andere zur anderen Seite des Tiers.

Nun musste ich mein Nähzeug beiseite legen. Das Gespräch begann mich zu interessieren. Ich bat ihn, mir ein bisschen Zeit zu lassen zum Nachdenken. Und überlegte mir mit Lust eine lateinische Antwort, mit der ich ihn strafen könnte für seine Lüsternheit. Und sagte endlich: Schier alles bei diesem Flug war in mir offen und aufgeschlossen. Nicht nur meine Beine. Da mir der Nibelunge hoch und heilig versprochen hat nullum diem praetermitto, quin te delectem „Keinen Tag lasse ich vorübergehen, an dem ich dich nicht erfreue“, so stieg ich dem Falken nur zu gern auf den Leib. Freilich rittlings, und zwar nudo „nackt“. Ist es das, was du wissen willst?

Ihn schienen die Kräfte zu verlassen. – Und dann, sagte ich, dann hob mich bella bestia „die schöne Bestie“ so, dass ich jubelnd singen wollte, mitten im Schlaf, beflügelt, getragen vom Traum. Hast auch du schon mal im Schlaf gejubelt? gelacht? Wahrlich paradiesisch ist das, ein Glück! Beischlaf nennt das meine Mutter und nennt es den besten Weg zum FrauenFreuen. Kann ja sein, so glücklich war ich nur, weil ich keineswegs, wir mir mein frommer Vetter weissagt, abstürzte in irgendeine Besudelung, sondern statt dessen frei dahinschwebte, wie mit Vogelschwingen, so wie der Alban durch seinen Schwarzwald. O ja, ich flog wie der rote Drache, der mit dem lachenden Jesus über das Rheinland segelte. Nein, keine Sorge, Vetter, vom Falken droht keine Gefahr. Mir jedenfalls nicht. Glück bringt er mir, paradiesische Wonnen, Leibeswonnen. Spürst du denn nicht, wie gut es mir geht? Ich fürchte, darum sorgst du dich auch heute nicht.

Regungslos, wie ein Leichnam lag er in meinem Sessel. Doch dann kam eine weitere Frage. – Sprach das Flugtier mit dir? – Gern. Und immer wieder witzig. – Was? – Es nannte mich „Missgeburt“. – Er zuckte zusammen, der arme Vetter, dies Wort kannte er nur zu gut. – Ja, der Vogel nannte mich seine „mürspriemlich honigmilchleckere Missgeburt“. Wieso findest du das schrecklich? Für deine heiligen Kirchenväter sind Frauen doch ex natura „von Natur aus, grundsätzlich“ Missgeburten. So hast du’s die Männer gelehrt, in fast jeder Predigt.

Da sah er von seinem Kristallkügelchen hoch und blickte mich traurig an. – Meine Tochter, sagte er mit der Zitterstimme, die er immer dann nutzt, wenn er uns seine tiefste Besorgnis spüren lassen will. – Krimhild von Burgund, du hattest Teufelsträume. – Tatsächlich? – Die Frau, die in der Nacht nackt durch die Lüfte reitet, auf einem männlichen Tier, in habitu virorum „in der Haltung der Männer“, die ist bereits, ob im Traum oder in der Wirklichkeit, die ist bereits, das wissen seit je alle heiligen Kirchenväter, in der Hand des Höllenfürsten.

Dann hätte der Höllenfürst eine zauberhafte Hand.

 zurück



Aus „Paradies, irisch“: 

Kirwan biss wieder ins Bürzel, kaute und schielte auf den geraden Rücken des stillen Essers auf dem Nachbarstuhl. „Und wahrlich, ich sage dir, nur eines gibt es, was noch mehr wert ist als solch ein mit Pfeffer, Koriander und Rotwein gewürzter Entenarsch.“

„Klar,“ sagte George und kaute. „Galwaylachs. In Wacholder gedünstet.“

„Nein, der Gipfel von Gottes Schöpfung ist eine Elfe..“

„In Wacholder gedünstet.“

„Dummkopf. Eine Elfe in ihrer Begierde.“

George hörte auf mit Kauen. „Was sagst du da, Bruder Alexander. Andere Kirchenleute behaupten aber, das schmecke höllisch! das treibe uns nicht zu den Feen, sondern ins Fegefeuer!“ Vergnügt feixte er gegen den steifen Rücken zwischen ihnen.

„Im Gegenteil“, rief Kirwan, „himmlisch schmeckt das. Denn die Fee, in ihrem heftigsten Appetit auf das Liebeswerk, sie beschert uns die zärtlichsten und seidenweichsten Teile des irdischen Leibes. Schenkt uns den paradiesischen Gipfel im Gipfel der Schöpfung. Das süßeste Menschliche als höllisch zu verurteilen, das können nur Teufel. Ignoranten. Heuchler.“

Da sahen sie, wie der Pater die Gabel niederlegte und wie er sich nicht mehr bewegte. 

.    .    .  

„So eine wie Agnes, das wollte ich dir sagen, obwohl ich merke, dass du es nicht hören magst, die kann gar niemand besitzen – kann gar keiner haben und besitzen wie ein Haus – wie ein Schiff – “ 

Der Wind fegte Staub und Sand über die Felskante, die Brandung schlug jetzt anders, dröhnte da unten schwerer und dunkler, unter den gerissenen Felsen schlug es, begann es zu krachen. Tief unter den Bodenspalten und Steinrissen, die zu zittern schienen, erblickte Juan schwarz herumstürzende Wasser.

„Pat“, sagten die mehrfachen Gesichter, „versteh mich jetzt richtig“ und redete in vielfachen Stimmen. „So eine wie deine Elfe – wie wunderbar – so eine Freie – so eine verrückt fröhliche Freie – wirklich wie eine Königin ist sie. Oder nicht? – Aber ich glaube, ich lasse das jetzt – sehe ziemlich deutlich, wie dich das gar nicht freut, sondern eher quält – hab ich recht?"

„Sag es!“ stöhnte Pat. 

 „Was?“  

„Hast du mit ihr geschlafen?“ 

Juan Gomez drückte sich nicht um die Antwort. Seine Gesichter schwebten unverändert, die leuchteten in mehreren Linien vor den neuen schnellen Wolken durcheinander, blickten ihn jetzt an mit vergnügten Augen. „Pat. Also ja. Auch das haben wir – an diesem verrückten Tag – “ 

Mehr vernahm Pat nicht. Tränen schossen ihm in den Blick, zerrissen ihm die Gesichter, Schreie dröhnten ihm ins Gehör, also doch, Patrick Lynchs einmalige Agnes hatte das getan, Tränenwasser zerteilte das Mariagesicht zum achtfachen Möwenkopf, zu elf irrwitzigen Sonnenfratzen und explodierte, und ja, jetzt schlug Pat, nun trommelte der mit Berserkerwut in die Fratzen hinein und sah in seinen Tränen die Sonnen und die vermaledeiten Gesichter, sah sie zwischen seinen Fäusten tanzen, all diese glatten miesen falschen Mariagesichter, „hör auf!“ schrieen die und „hör mich an!“ 

.

"Alle unter einem Hut? Das ist nur für die Hüter gut."

  zurück

Aus „Der Solljunge oder Ich unter den anderen“:

An den Wochenenden mit Wilma, dem „Mädchen“, in den Essener Norden. Mitfahren mit der Straßenbahn, zwanzig Kilometer Rumpeltour durch die Stadt, runter nach „Altenessen“. Die Straßen, die Menschen, den Leuten  zuhören, den Rufen, den Wörtern, dem Lachen. Den Mann mit der Kurbel beobachten, der steht vorn, wirbelt die Kurbel, dreht, bimmelt mit dem Fuß, flucht, macht Sprüche. Bei Wilma zu Hause die Eltern, die Wohnküche, die Klagen, die Gespräche, die lustigen Wörter, die gleichen wie bei den Schulkindern in den Pausen, breite, verkürzte Wörter, denen die Ecken weggeschliffen sind, Erbsen döppen, kumma Ömmes mittem Pitschendopp, pöhlen, hinkeln, Butters, Bütterkes, Teilchen verknusen, mitte Fletsche auf Ötsche, „auf Spatzen“, hätte Mutter gesagt , aber hier? Könnt mich ömmeln. Wer hört die Karre vorre Tür? – Ich. – Und diese Ruhrleute gehen nicht ins Kino, sondern „im Kinno“, diese schnelle Menschensorte ist in Gedanken immer schon angekommen.

Wilma erzählt in der Bahn und in ihrem Garten und lässt auch mich erzählen, gibt mir zu naschen, auch vom Verbotenen, lacht über meine Einfälle, macht im Stadtwald mein Bett, kocht mein Essen – sollte ich nicht, wenigstens zeitweise, ihr Altenessen eher für meine Welt halten als mein so schön hoch gelegenes Essen-Stadtwald.

  zurück



Aus „Essen Viehofer Platz oder Die letzte Revolution“:

„Dat muss doch unsereiner hier im Ruhrrevier endlich ma einsehn, wie minderwärtich dat wir sind. Dat wir fünf Millionen für die Gefühle von so Schaltanlagen wie den Herrn Kaiser nich halb so wichtich sind wie fünf Blättges Papier. So welche wie diese Zeitungs-Zombies?  Die schubsen die eigene Omma de Treppe runter un fragen: Wat läufße eingtlich so unästhetisch?“

Predigkeit trinkt lang und wie in Trauer. Und wendet sich dann an Kumpmann. „Aba du hass gefracht, ob man se im Mond schießen sollte. Is nich nötich. Dafür sorgen die säpps. Schon der uralte Jonny Nestroy hat gesacht, man sollte den Kaiser gegen den Kaiser hetzen und den Handke gegen den Handke und den Reich gegen den Ranicki – nur um ma zu kucken, wer je von die zwei der Größere is. Tja un dann? Alle diese heranwichsenden Dichterkes? Da schweben se dann mit ihre überragenden Werke, schwerelos – als kosmischen Kappes mitsamt ihre Krittiker, seelich saugend anne gegenseitigen Nabelschnüre – so schweben se dahin.

Und kommen se dann endlich an auf ihrem NeppNeptun, dann knien se nieder vor ihrem eigenen Gedankenwichs im Nix, bis am Horizont kannze se dann knien sehen, Aaschloch reiht sich an Aaschloch – en wahhaft erhabenen Anblick, weil et sich ja ausschließlich um Klugscheißer handelt –  

. . .

Und die haben 1933 eine, so würde man heute sagen, professionelle Show organisiert auf dem neuen See. Eine dolle Massenveranstaltung war dat, mit Zelten am Ufer, Tanzkapellen, Rundfahrten mit der neuen Flotte und als Höhepunkt: ein Weltrekordversuch im Dauerschwimmmen. Ruth Körfgen sollte für dat neue Deutschland so lange schwimmen wie noch nie vor ihr ein Mensch geschwommen is. Rund um den neuen Baldeneysee Fahnen, Musik, Eisverkäufer, Würstchenbuden, Menschenmengen wie nie zuvor, nachts Feuerwerk, der "See in Flammmen". Dat Zentrum gleich unterhalb vonner Krupp-Villa. Und Ruth Körfgen: seit sechzich Stunden im Wasser. Also seit drei Tage. Hochstimmung, Besäufnis, Gesänge und immer dicht neben der zu Tode erschöpften Schwimmerin dat Motorboot mit ihrm Verlobten, mit diesem SA-Unternehmer aus Herne und mit ihrer Mutter. Zeugen, die auf Paddelbooten in die Nähe kamen, haben mir geschildert, wie die beiden auf die fast schon bewusstlose Frau eingeredet haben. Die Mutter regelrecht hysterisch. "Ruth! Ruth! mach weiter, halt duich! Denk dran, dann fahren wir nach Italien!" Nun hatte man zwar den Körper der jungen Schwimmerin vollkommen mit einer Fettschmiere zu isolieren versucht, aber dat Wasser in dem frisch gestauten See, dat war übersäuert von den überfluteten Wiesen und Wäldern - darum hatte sich die Fettschicht längst aufgelöst. Die Haut der jungen Frau war gerötet, geschwollen, 'die konnte ganich mehr ausse Augen kucken'. Haben mir Augenzeugen erzählt. Man stelle sich vor: Im Wasser treibt oder vielmehr wird getrieben ein Mensch, der stirbt. "Ruth, du schaffs et! Du schenks dat dem Führer! Ruth, wir werden Mussolini besuchen. Wir sind alle so stolz auf dich!" Dazu noch dieser SA-Führer, der Verlobte mit seim vatterländischet Gesäusels: "Ruth, du bist das prächtigste Mädel der Welt! Du zeichs et ihnen, du siechs für Deutschland! Beweis et den Niggern, den Juden, den Moskowittern, wir sind die Weltbesten! Ruth, wir feiern dich, wie noch nie eine deutsche Frau gefeiert wurde!" - Und dann, nach insgesamt siebzich Stunden, is der absolute Weltrekord gebrochen - dat vereinbaate Signal ertönt, drei Schüsse - die Kapellen an den Ufern unterbrechen ihre Tanzmusik, die spielen dat Deutschlandlied, dat Horst-Wessel-Lied. Die Schimmmerin wird aus dem Wasser gehoben - der SA-Mann feuert abermals Schüsse ab - von den Bergufern dat Echo, die Leute jubeln, schwenken die Hüte, schreien Heil und nehmen natürlich an, all diese Pistolenschüsse, dat seien nun Freudenschüsse über den geleisteten Rekord. Dat war aba n letzter Versuch, die Ruth Körfgen wieder zum Bewusstsein zu bringen. Die is nich mehr aufgewacht. Eine Krankenschwester, heute achtzich, erzählte mir, die hätten die Ruth mit den Worten eingeliefert:  "Hier bringen wir Ihnen die beste Schwimmerin der Welt!" Der Arzt, nach einer kurzen Untersuchung: "Sie bringen uns eine Tote."

  zurück



Aus „NORA und die Gewalt- und Liebessachen“:

Hertz rieb sich sein Runzelgesicht. Nahm einen langen Schluck Wasser.. „Letzte Nacht beschloss der amerikanische Präsident, der Westen müsse seine Grundwerte endlich sichtbar ehren. Im New Yorker Central Park wurde eine Ruhmeshalle errichtet, mit den „Leitfiguren der zivilisierten Welt“. Geehrt würden nun, so hörte ich im Traum, nicht die Zwielichtigen, nicht die, die durch Wörter und Geschichten von sich reden machten, sondern die, die das Eindeutige täten, Taten für das Gute. In Stein gemeißelt wurden Staatsmänner, Generäle, Feldherren, Kämpfer, Haudegen. Man ehrte Alexander den Großen, Imperator Caesar, Karl den Großen, Männer der Tat, Präsidenten sah ich da in Stein gehauen, die Herren Jackson und Carsson, ja, man ehrte alle obersten Indianervernichter und Barbarenverfolger, bis hin zu McNamara und Kissinger.

Plötzlich jedoch schritten andere den Broadway herauf, traumhaft bärtige Gestalten, aber auch zarte, auch weibliche, da nahten Hannah Arendt und Homer, ich sah Albert Schweizer, Sokrates, im Gesichtergewimmel Jesus und Shakespeare, Cervantes, Jean Paul, Montaigne, Molière und Goethe. Da ging der zierliche Kant und der dünne Gandhi, da trug man in einer blauen Sänfte Ingeborg Bachmann, dahinter liefen Anne Frank, Sophie Scholl, Mark Twain, Charlie Chaplin, Bertrand Russell. Auch Einstein, der ‚tiefreligiöse Ungläubige’. Kurzum, da kamen alle, die sich ihres eigenen Verstandes bedient hatten. Und redeten alle im Takt ihrer Schritte, murmelten zum düsteren Marsch von Beethovens sogenannter Heldensinfonie immerzu zwei französische Zeilen: 

                         Il n’y a sottise

                         dont je m’avise

Da wollte Polizei wissen, was hier geredet würde, und es antwortete ein dreiundzwanzigjähriger – Büchner. Den hätte man, hörte ich, auf seinem Sterbebett aus der Zürcher Spiegelgasse geholt, und der rief: 

                      „Keine Verrücktheit,

                        die ich nicht liebte

  – das schrieb im achtzehnten Jahrhundert Arouet, genannt Voltaire.“ Und der todkranke Dreiundzwanzigjährige warf mit wunderbarer Kraft einen Stein gegen die granitenen Generäle und Staatsmänner im Central Park, und siehe, die zerfielen alle. Begeistert lief ich zu Büchners Stein, bückte mich und sah noch, dass Wörter darauf standen, hoffte noch, dass es mein Lieblings-Büchnerzitat wäre, aber ich erwachte.“

 „Dein Lieblings-Büchnerzitat?“

 „Aber ich, wär’ ich allmächtig – sehen Sie, wenn ich so wäre – ich könnte das Leiden nicht ertragen, ich würde retten, retten.“

 Hertz war aufgestanden. „Los, Freunde! Morgen unternehmen auch wir eine aufgeklärt aufklärende Verrücktheit – “

     .    . 


Und Hertz . . . griff zum Stock, stand auf und tappte vor Langensiepen her zur Tür. Der 28. August sei der Geburtstag des großen Heiden aus Weimar. Der habe gewollt, dass sein Sohn in Heidelberg die früheste Version der Grundrechte studiere. – Vor der Wohnungstür blieb Hertz stehen. „Frankreichs Code civil. Das sollte der begreifen, der August Goethe. Die erste Verfassung eines Menschenrechts für alle. Eines gleichen Rechts für Jeden. Zum erstenmal ausdrücklich auch für Juden. Das entstand unter dem bösen Napoleon. Den unsere romantischen Freiheitskrieger so erbittert bekämpft haben. Und fast alle unsere Dichter und Denker. So tapfer, so blutig, so teutonisch – so dass am Ende auch dein 1848 unmöglich gelingen konnte. Und auch Weimar nicht.“

 zurück

Aus “Meine Medienmemoiren":

... Auch Marcel Reich-Ranicki residierte gern in Baden-Baden, meist im Golf-Hotel. In meinen ersten Magazin-Jahren, so um 1975 überfiel er mich in jedem Sommer per Telefon, fast immer mit folgender Begrüßung: L., Sie sitzen an Ihrem Schreibtisch. Deutlich sehe ich, es gibt für Sie im Moment nichts Wesentliches zu tun. Wann treffen wir uns? Ich schlage vor: um drei, hier im Foyer.

Kam ich ins Hotelfoyer, kriegte ich zu hören – so laut, dass es jeder in den Sesseln ringsum verstehen konnte: Man sagt mir, Sie haben über mich Ungünstiges verbreitet? – Wirksame Methode des Erschreckens und Zerkleinerns gleich zu Beginn. Schon damals redeten viele über ihn und gern, auch ich, zugegeben, lustvoll, galt sogar als bester Reich-Imitator, er selber hatte das so entschieden im TV-Magazin Leo’s vom BR („Aber den Preis, tut mir leid, den bekommt mein Freund Karasek.“)

Wer hatte da mal wieder gepetzt? Durch die Gesprächs-Eröffnung genügend artig gemacht, hatte ich ihn in den Schwarzwald zu begleiten auf dem „Terrain-Pfad 1“, auf dem mit dem mildesten Anstieg, wo ihm zum rhetorischen Rundum die meiste Atemluft blieb. Ergriffen hörte ich, wer alles im Reich der Literatur zu den schwächeren Figuren zählte und wer zu den ganz und gar missratenen. Der Schwarzwald ist umfangreich, blattreich und immer noch nicht ganz holzfrei, der schluckt fast jeden Lärm zwischen Bäumen und Borken, aber mit des Großmeisters Bewertungs-Eifer hatten diese Waldungen ihre schalldämpfende Mühe, es schien, als sollten seine Zensuren deutschlandweit gehört und endlich begriffen werden.

Eindrucksvolle Lehrstunden, anfangs in Ergebenheit, dann im Streit. Als er mich schließlich in einem seiner Fernseh-Auftritte dreimal Lügner genannt hatte, erläuterten mir Rechtskundige, dass es mir vor Gericht nichts helfen würde, nachzuweisen, dass ich dreimal NICHT gelogen hatte. Es ging da um die Gedichte der Ulla Hahn und deren Kopfüber, es ging vor allem darum, wie der Großsortierer diese Hahn-Werke (aus dem Verlag, in dem auch er selber veröffentlichte) an die Spitze der SWF-„Bestenliste“ zu lancieren gewusst hatte (vgl. meinen ziemlich guten Essay im Band 100 von „Text und Kritik“: „Die Enden der Legende“). Die Rechtspfleger rieten mir, mit gleicher Münze heimzuzahlen. Der Titel „Lügner“ gehöre nun mal zur öffentlichen Debatte.

Die Lektionen des Groß-„Kritikers“ lehrten begreifen, wie Unterhaltung herzustellen ist – Untenhaltung? – , wie auf der Glatze jene faszinierenden Locken zu drehen sind, die als wirksamste Reklame gelten dürfen, mit welchen Kniffen sie arbeitet, die uralte Technik der Glaubens- und Kirchenväter, die propaganda.

 

... Schon 1975, schon nach der zweiten monatlichen „Bestenlisten“-Umfrage kam der Größtkritiker ins SWF-Studio und maulte: „Drei oder vier vernünftige Leute, die würden vollauf genügen“, die könnten besser als diese Riesenjury meiner Antiseller-Liste sehr wohl das Wichtige vom Unwichtigen sortieren. „Sie berufen ein Literaturparlament!“ – „Was denn“, traute ich mich zu fragen, „haben Sie gegen ein Parlament?“ Da schwieg er und machte mit...

Nicht zu vergessen der Abend, an dem Böll noch mal in Baden-Baden war, kurz vor der Raketendebatte im Bundestag, als es im kalten Ost-West-Wahn um die Nachrüstung mit Pershing-Raketen ging. Im traurigen Monat November 1983 hat der kranke Böll alle Mediengelegenheiten wahrgenommen, um den Aufrüstungsbeschluss verhindern zu helfen, in meine Literatursendung käme er nur, sagte er am Telefon, wenn er außer mit Elke Heidenreich auch mit Franz Alt sprechen könne, damals der Moderator des Report-Magazins – gerade auch mit CDU-Leuten müsse er reden.

Im berühmten Badhotel Hirsch, am Abend vor der Aufzeichnung des Gesprächs (meine Magazine mussten stets aufgezeichnet werden, waren nie live, jede zweite sendefertige Ausgabe wurde korrigiert), am Abend zuvor also die Runde mit Alt und Heidenreich über die kommende Abstimmung im Parlament. Als auch Alt sich als Raketengegner bekannt hatte, erzählte der Gast, welche letzten Worte er mit dem großen Bescheidwisser aus Frankfurt gewechselt hat. Mit dem, der ihn wenig später öffentlich tief betrauerte. Diesen „Herrn“ – anders redete er nicht von ihm – habe er zuletzt auf einer größeren Veranstaltung gesehen und der habe die Menge, die ihn auch hier umgab, plötzlich verlassen und sei mit Begrüßungsrufen auf ihn, Böll, zugeeilt. „Verehrter!“, habe der Herr gerufen, „wie gut, Sie hier zu sehen! Wie geht es Ihnen! Es geht Ihnen besser? Da kann ich endlich meine Frage loswerden, die mich sehr bewegt, die mich quält – was, mein Lieber, was, bitteschön, haben Sie gegen mich?“

Der Nobelpreisträger, so gegen 24 Uhr im Foyer des Hotels, in dem schon Balzac gewohnt hatte mit seiner unsterblichen Geliebten, der sah den Franz Alt an, die Elke Heidenreich und seine Annemarie und mich und sagte dann: „Wisster, wat ich dem gesacht hab? Ich? Hab ich gesacht, ich kann Ihnen saren, wat ich gegen Sie hab. Dat Sie ene Aaschloch sind. Hab ich 'm gesacht und hab’nen stehngelassen.“

 

.... Letzter Absturz der öffentlich-rechtlichen Sender war unter Kanzler Kohls „geistig-moralischer  Wende“ die Gründung der sogenannten „Privat-Sender“, der Kommerz-Kanäle. Was nach 1945 von kompetenten Kulturleuten als Kultursender in Baden-Baden gegründet worden war (Heinrich Strobel, Friedrich Bischof, Carlo Schmid, Alfred Döblin) und zu schönsten Erfolgen geführt hatte, hatte von Anfang an zu leiden unter einer Aufsicht, die alles andere wollte als "Kultur" und die alles andere wahrte als die staatsvertraglich gebotene „Staatsferne“. Und unter Kohl drängten nun die Gesetze des Markts und verlangten "Einschaltquoten". Nachdem schon unter den politischen Eiertänzen allzu viel Substanz verloren war – unter Intendant Hammerschmidt zum Beispiel Programm-Verbote für Böll oder Jägersberg (schon Sender-Gründer Döblin war einst vergrault worden), wurden die Anstalten nun an die Betriebswirtschaft verhökert, an Germoney. Noch immer meinen die öffentlich-rechtlichen Gebühren-Kanäle, auch Werbung nötig zu haben - in deren Umfeld dann die Niveaus so schmerzhaft sinken, dass sekundenweises Hineinzappen genügt, um wieder hinauszufliehen.

Die Medien zu okkupieren, die Informationskanäle zu verstopfen, ob unter Militär oder Religion oder unter den „Sachzwängen“ von Markt, Einschaltquoten und Shareholder-Value als höchstem Wert, die vierte Gewalt im Staat auszuschalten – freie Presse, freie Wissenschaft, freie Kunst – das war seit je der Anfang vom Verhängnis.

Auch Gelsenkirchener in Kassel suchte ich 2013 durch Texte in größere Höhen zu stemmen

 zurück